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Unterwegs. 在路上。

In einer chinesischen Großstadt besteht der Tag – wie in den vergleichsweise wenigen Großstädten Europas auch – im Wesentlichen aus einem: dem Pendeln. Man pendelt von der Wohnung zur Arbeit, von Campus A zu Campus B, von der Stadtmitte zur anderen Seite des Yangtze, von einem mittäglichen Geschäftsessen zurück ins Büro, von der Schule des Kindes zum abendlichen Englisch-Kurs – oder einfach irgendwohin, um Freunde und Familienangehörige zu treffen.

Das U-Bahn-Netz in Nanjing ist schon recht stattlich und wird immer weiter ausgebaut. Trotzdem ballen sich die Menschenmassen nach wie vor, besonders an den Umsteige-Stationen im Zentrum. Manchmal müssen die Bewegungen des unaufhaltsamen Menschenstroms sogar von Sicherheitsangestellten in Uniform geregelt werden, ein bisschen wie auf einer Kreuzung mit ausgefallener Ampel.

Nanjing subway system - or what's been built so far.

Nanjing subway system (so far).

Um von der Station Zhujianglu (珠江路), in deren Nähe ich wohne, zum Fremdspracheninstitut auf dem Xianlin- Campus (仙林校区) zu kommen, brauche ich etwa eine Stunde mit Umsteigen und Fußweg auf dem Campus. Viele der Studenten sind dort lieber mit dem Fahrrad unterwegs, viele der Dozenten mit dem Auto. Nur die kleinen Campus-Transporter erfreuen sich irgendwie keiner großen Beliebtheit. Vermutlich, weil sie extra kosten und die Wege dann SO weit doch auch wieder nicht sind.

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The institute for foreign languages (English, French, German, Russian and Corean on offer) - and the intimidating library on Xianlin campus.

The Institute of Foreign Languages (English, French, German, Russian, Japanese and Corean on offer) – and the intimidating library on Xianlin campus.

Zwischen dem Innenstadtcampus und Xianlin gibt es auch ein Bus-Shuttle-System. Das geht etwas schneller als mit der U-Bahn und erspart einem dem morgendlichen Spaß beim Umsteigen in Xinjiekou (新街口), der Station unter dem zentralen Platz Nanjings mit der darauf thronenden Statue von Sun Yat-Sen.  Nach 中山 ist in dieser Stadt, die immerhin die Hauptstadt der chinesischen Republik des frühen 20. Jahrhunderts war, auch heute noch so einiges benannt.

Bei anderen Zielen wird es allerdings schon schwieriger. Die „linke“ Yangtze-Seite ist, was das U-Bahn-Netz betrifft, bei Weitem nicht so gut erschlossen, und so rollen die Busse nach wie vor über die gigantischen Yangtze-Brücken, manchmal mehrere derselben Linie gleichzeitig (die Brücken sind etwa vier Kilometer lang, da kann das schon mal passieren). Unter den Brücke, oft genug im Smog verborgen, fließt der ebenso gigantische Fluß, den man noch bis in die 70er Jahre nur mit Fähren überqueren konnte.

The Yangtze river from above.

The Yangtze river from above.

Eine solche Fahrt kann durchaus eine Stunde oder länger dauern, denn im Gegensatz zu Deutschland warten wirklich an jeder Haltestelle Passagiere. Und natürlich gibt es auch Stau.

Auf der anderen Flußseite fährt man dann entlang an unzähligen, neu aus dem Boden gestampften Häuserblocks, an den Schuttebenen gerade erst abgerissener einfacher Wohn- und Gewerbeviertel – und an vielen Autosalons, wie mein studentischer Begleiter anmerkt. „Die Leute kaufen hier die Luxusautos, mit denen sie dann auf der anderen Seite herumfahren.“ Ganz Unrecht hat er nicht, die andere Seite wirkt durchaus etwas prosperierender, etwas besser erschlossen. Sogar etwas „internationaler“, im kleinen Rahmen. Bei unserem Ausflug auf der linken Flußseite treffe ich jedenfalls nicht auf einen einzigen anderen Ausländer.

Irgendwann verändert sich die Landschaft dann allerdings wieder, es wird grün und hüglig. Wir nähern uns dem „Lao Shan National Forest Park“ – oder zumindest seinen Ausläufern. Und damit auch den Villenvierteln der Superreichen, die wie Kunst- oder Märchenwelten aussehen, der Phantasie eines Louis XIV oder eines Medici entsprungen.

In der „Nachbarschaft“ (noch mal ein paar Kilometer zu Fuß von der Endhaltestelle hinauf in die Ausläufer der Berge) befindet sich auch das neugebaute Sifang Art Museum (四方当代美术馆), das gerade eine Ausstellung zeitgenössicher italienischer Künstler beherbergt. Und hier ist wirklich NIEMAND, was sehr ungewöhnlich ist für China. Wir sind die einzigen Gäste (des Tages? der Woche?) und die anwesenden Angestellten kümmern sich rührend um uns. Fast alles außer dem Museumsgebäude selbst ist noch im Bau, das Hotel und das Konferenzzentrum stehen (noch?) leer und der künstliche See ist nur zu einem Drittel mit Wasser gefüllt, vermutlich der Regen der letzten Tage.

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Otherworldly: The Sifang Art Museum and "Gated Living" on the other side of the Yangtze.

Otherworldly: The Sifang Art Museum and Gated Living on the „other“ side of the Yangtze.

Also wieder zurück zu Fuß und mit dem Bus in die Stadtmitte, bevor die Rush-Hour einsetzt und der Verkehr erstmal stillsteht. Falls gar nichts mehr geht, gibt es allerdings auch einige Orte, die zum Verweilen einladen. Und zum Schlafen. Letzteres versteht man gut, wenn man den Pendelrhythmus einer chinesischen Stadt eine Weile beobachtet hat.

Ein bei den Chinesen besonders beliebter Ort zum Dösen sind die Filialen von „Costa Coffee“ und „Starbucks“ – eindeutig die beiden Platzhirsche der internationalen Kaffeebranche vor Ort. Beliebter bei den Ausländern (老外) hingegen ist die vergleichsweise kleine chinesische Kette der „Sculpting in time“-Cafés, vielleicht wegen des westlichen Sofa-Interieurs und der oft schönen Lage. Hier gibt es auch westliches Essen, falls man mal ohne Stäbchen essen möchte. Ob das Essen schmeckt, kann ich allerdings nicht sagen, ich habe es bisher noch nicht probiert. Der Kaffee ist gut und genauso unsinnig teuer wie überall in China (was viele Chinesen aber nicht davon abhält, ihn zu trinken).

Ein Verweilort, der mir persönlich besonders gut gefällt, ist die „Avantgarde“-Buchhandlung. Ein riesiges Buch-, Lese-, Postkarten- und Papierwaren-Areal mit Cafébereichen, in dem auch Lesungen und andere Veranstaltungen stattfinden. Die Buchhandlung liegt in einem der ehemals für Olympia hochgezogenen Gebäude – deswegen hat sie auch mitten im Geschäft eine Parkhausauffahrt vorzuweisen.

Auch hier verbringt so manch einer dösend die Mittagspause oder eine längere Wartezeit. Die Betreiber scheinen nichts dagegen einzuwenden zu haben – und ich kann’s auch gut verstehen.

"Avantgarde" book shop in Nanjing.

„Avantgarde“ book shop in Nanjing.

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