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Suzhou. 苏州.

Auf Einladung der Universität Suzhou habe ich meinen kleinen Einführungsvortrag über die deutsche Theaterlandschaft auch vor der dortigen Germanistik-Abteilung gehalten – was mir ein paar unverhoffte Tage in der berühmten Stadt der Kanäle und Gärten eingebracht hat.

Announcement of my lecture and seminars at Nanjing university, glooming in the dark.

Announcement of my lecture and seminars at Nanjing university, glooming in the dark.

Die Zugfahrt von Nanjing nach Suzhou dauert nicht lange, nicht mal 1 1/2 Stunden mit dem Schnellzug. Man fährt durch eine oft diesige Landschaft, die hauptsächlich der Elektrizitätsgewinnung zu dienen scheint. Und durch ein paar Städte, deren Namen die meistens Europäer wohl noch nie gehört haben: Wuxi, Changzhou, Zhenjiang.

Somewhere in China.

Somewhere in China.

Im Bahnhof werde ich von einer jungen Studentin in Empfang genommen, die mir das Hotel, einige erste Sehenswürdigkeiten und den Campus zeigt. Den offiziell schönsten Campus Chinas, wie man mir später sagt (ein Superlativ, unter dem mir vorher schon mindestens zwei weitere vorgestellt worden sind).

Bei der Besichtigung des berühmten „Garden of the Humble Administrator“ (拙政园) macht sich im ersten Moment bei mir etwas Enttäuschung breit. Denn was ich nicht einberechnet hatte: Im Gegensatz zu Nanjing liegt Suzhou auf den Reiserouten der großen nationalen und internationalen Touristengruppen. Es sind also nicht nur überall drei Mal so viel Menschen unterwegs, sondern auch Nepp und aggressives Verkaufsverhalten nehmen drastisch zu. In der Nähe des Gartens erwarten einen beim Aussteigen aus dem Linienbus schon ganze Schwadronen von Frauen (Männer habe ich keine gesehen), die versuchen, einem ein gefälschtes Ticket anzudrehen. Eine der Ticket-Soldatinnen hat uns von der Bushaltestelle den ganzen Weg bis zum Eingangstor begleitet, und es bedurfte statt einer freundlichen chinesischen Studentin eine um einiges grimmigere deutsche Dramatikerin, um die Dame dann endlich loszuwerden.

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The famous gardens of Suzhou - usually filled with international tourists and national art students.

The famous gardens of Suzhou – usually filled with international tourists and national art students.

Ganz anders gestaltet es sich dann aber am nächsten Tag im „Garden of the Master of Nets“ (网师园). Den zu finden, ist nicht ganz einfach – und wenn man, wie ich, unfreiwillig den Hintereingang wählt, kommt man für einen kurzen Moment in den engen Gassen dem Suzhouer Leben ohne Touristen sogar erstaunlich nahe.

Es bestätigt sich also eine alte Faustregel: Jede Sehenswürdigkeit in China, vor der ein Reisebus aus Platzgründen nicht parken kann, lohnt den Besuch.

Um einige der berühmten Kanäle Suzhous wiederum haben sich Restaurant- und Geschäftsstraßen angesiedelt. Die Art von Plastik-Historie, die in China so beliebt ist und bei der die Europäer gerne ein bisschen die Nase rümpfen, weil das ja unmöglich „echt“ oder „authentisch“ sein kann.

Anderseits sind dieselben Europäer oft auf der Suche nach einer klinischen Sauberkeit in Ambiente und Nahrung, die sich selbst mit einer noch so romantischen Vorstellung von der Vergangenheit wohl kaum verbinden lässt, weder in Asien noch in Europa.

Ich persönlich muss sagen, ich habe im Bereich der Plastikwelten schon Schlimmeres gesehen. Manche der Geschäfte an den Kanälen in der Nähe der Universität bieten ästhetisch durchaus ansprechende Produkte an – und es gibt viele schöne Plätze zum Ausruhen.

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A good place to have a boiling hot milkshake on a boiling hot day.

A good place to have a boiling hot milkshake on a boiling hot day.

Die erste Begegnung mit einem heißen Michshake habe ich auch schadlos überstanden (und das bei 28 Grad Außentemperatur!). Offensichtlich verhält es sich mit dem Milchshake so wie mit dem Bier und dem Kaffee auch: Man muss dazusagen, ob man das Getränk kalt oder heiß haben möchte. Das Bier kommt sonst meist mit Zimmertemperatur (mein Vater wäre begeistert) – und der Milchshake eben aus dem Kochtopf.

Inzwischen bin ich schon wieder auf dem Rückweg nach Nanjing, es ziehen wieder die diesigen Landschaften an mir vorbei und die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher sagt an jeder Station: „WELCOME ON BOARD HARMONY“. Oder vielleicht „WELCOME ON BOARD, HARMONY“? Wer weiß. Besonders angespannt ist die Atmosphäre „ON BOARD“ allerdings nicht, die meisten Chinesen schlafen oder spielen auf ihren riesigen Smartphones herum. Nur die Ausländerin guckt sich die Berge und E-Werke der Gegend an.

Suzhou by night.

Suzhou by night.